Was bedeutet ‚Kollaborative Forschung‘?

Das Projekt QUERgesund verfolgt ein kollaboratives Forschungsdesign. Dieser ethnografische und qualitative Ansatz wertschätzt gemeinschaftliches Lernen sowie solidarische, reziproke und partizipative Formen der Wissensproduktion. Die Menschen in der Hustadt werden als Expert*innen ihres Alltags verstanden. Lebensweltliches und erfahrungsbasiertes Wissen über gesundheitliches Wohlbefinden der Bewohner*innen ermöglicht einen tieferen und emischen (d.h. aus der Sicht eines Insiders) Zugang zu den aktuellen Problem- und Bedarfslagen. Diese Herangehensweise befördert ein partnerschaftliches, empathisches und egalitäres Forschenden-Erforschten-Verhältnis.

Das übergeordnete Ziel der am Projekt QUERgesund Beteiligten besteht in der Schaffung eines offenen Forschungsraumes in einem multidiversen und von Mehrfachdiskriminierung geprägten Stadtteil. Dieser Raum ermöglicht idealerweise den gegenseitigen und diskursiven Austausch und gewährleistet Empowerment. Im Sinne der critical medical anthropology sollen die kollaborativ erzeugten empirischen Ergebnisse im Rahmen von Public-Health-Strategien und medizinethnologischen Interventionen eine nachhaltige und qualitative Verbesserung des gesundheitlichen Wohlbefindens vor Ort garantieren.

Wissenschaftliche Begleitung

Dr. Silke Betscher

Ich bin Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin und habe einen Schwerpunkt in den Bereichen Transkulturalität, Diversität und Medien. Im Projekt QUERgesund habe ich die Stadtteilforscher*innen und die Studierenden in der Konzeption und Durchführung von Interviews geschult.

Ich beschäftige mich schon länger mit Methoden kollaborativer Wissensproduktion, um gemeinsam mit den Menschen, um deren Belange es geht, zu forschen. Hierbei ist auch das Forschen mit filmischen Mitteln (ethnografischer Film) eine Methode, mit der ich arbeite. Ethnografischer Film interessiert mich auch, weil er eine Möglichkeit ist, marginalisiertes und situiertes Wissen sichtbar zu machen und damit zu Community-Building und Empowerment als einen zentralen Aspekt von Community Health beizutragen. Ich habe intensiv im Bereich von Flucht/Migration, insbesondere zu Unterstützungsstrukturen für unbegleitete Minderjährige geforscht und in Praxisprojekten der Sozialen Arbeit zu transkultureller und diversitätsgerechter Organisationsentwicklung gearbeitet.

Yvonne Pajonk

Im Projekt QUERgesund unterstütze ich die wissenschaftliche Begleitung durch Christiane Falge von der Hochschule für Gesundheit. Nach der Durchführung der Interviews mit Tandems aus Stadtteilforscher*innen und Studierenden betreue ich den Auswertungsprozess und die Ergebnispräsentation.

In meinem Studium lege ich meinen Schwerpunkt auf die qualitative Sozialforschung, welche sich für gesellschaftliche Zusammenhänge, die Sicht von Betroffenen sowie deren Lebenswelten interessiert. In eigenen Feldforschungen und Interviewstudien konnte ich bereits Erfahrungen mit verschiedenen qualitativen Ansätzen sammeln. Die im Projekt angewendete partizipative Methode ermöglicht ein Forschen auf Augenhöhe und eine ganzheitliche Bedarfsanalyse, die nachhaltige gesellschaftliche Veränderungen zum Ziel hat.

Qualifizierung der Stadtteilforscher*innen

Im Frühjahr 2019 qualifizierte Silke Betscher im Rahmen einer dreitägigen Schulung Bewohner*innen der Hustadt als Stadtteilforscher*innen. Unter Anleitung von Wissenschaftler*innen erlangten die Teilnehmer*innen fachliche Kompetenzen in Methoden der qualitativen Sozialforschung. Zusammen mit Studierenden der Hochschule für Gesundheit bildeten die Bewohner*innen Forschungstandems und führten Leitfadeninterviews durch. Die Transkripte dieser Befragungen als auch weitere ethnografisch ermittelte Quellen wurden anschließend von wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen der Hochsucle mittels hermeneutischen und interpretativen Verfahrensweisen analysiert.

Forschung auf Augenhöhe?

Die forcierte Auflösung der traditionellen Kluft zwischen Wissenschaftler*innen und Beforschten bei kollaborativen Forschungsansätzen birgt gleichermaßen Chancen und Herausforderungen. Konflikte und Reibungsfelder hinsichtlich des Umgangs mit sozialen Hierarchien, Interessenlagen, Deutungshoheiten und Machtpositionen müssen adressiert und gelöst werden. In regelmäßigen Abständen finden daher Reflexionsgespräche zwischen allen am Forschungsprozess Beteiligten statt, um Untersuchungsziele zu kommunizieren und angemessene Forschungsstrategien zu entwickeln. Ein Qualitätsmerkmal der Forschung auf Augenhöhe im Projekt QUERgesund stellt somit das dynamische, ergebnisoffene und gegenstandssensible Justieren des methodischen Instrumentariums dar.